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Berlin 30.10.2005

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Mit groß inszenierten Fackelmärschen der SA durch das Brandenburger Tor in Berlin und in anderen deutschen Städten, feierten die Nationalsozialisten am 30.01.1933 die Übernahme der Macht in Deutschland und leiteten damit eines der dunkelsten Kapitel in der europäischen Geschichte ein. In dessen Verlauf mehrere Millionen Menschen aus rassistischen, antisemitischen, homophoben Gründen oder wegen dem Eintreten für humanistische Weltanschauungen in deutschen Vernichtungslagern unter menschenunwürdigen Bedingungen eingekerkert und ermordet wurden. Hinzu kommen noch die Millionen Toten, des durch deutsche Volksraumpolitik im Osten ausgelösten 2. Weltkrieges. Erst mit dem Sieg der Alliierten am 8. Mai über Nazideutschland hatte das Morden ein Ende. Ein Großteil der deutschen Bevölkerung, die den Nationalsozialismus gestützt hatten, verbanden damit aber nicht Befreiung sondern Niederlage, und wiesen Verantwortung und Schuld weit von sich. Der Umgang wird bis heute davon geprägt. Besonders deutlich wird das bei den Vertriebenenverbänden, die mit Unterstützung aus der politischen Mitte immer noch Revisionsforderungen an die osteuropäischen Nachbarländer stellen, und die Notwendigkeit der Umsiedlung der deutschen Bevölkerung, als angeblich einzigartiges Verbrechen aus dem historischen Kontext reißen. Ähnlich verhält es sich in Dresden, wo seit Jahren Neonazis und BürgerInnen gleichermaßen, das Gedenken an die Opfer der Bombennacht von Dresden zum allgemeinen Trauer-Großevent inszenieren. Bei dem die Opferzahlen mal schnell um eine Größenordnung noch oben gelogen werden und die alliierten Kampfhandlungen gegen Deutschland als unnötig und Verbrechen bezeichnet werden. In beiden Beispielen wird deutlich, dass es nur darum geht, das Leid der deutschen Bevölkerung in den Vordergrund zu stellen, und als unschuldiges Opfer der Alliierten und deren Verbündeten darzustellen. Es wird kein Wort über die Verbrechen der Deutschen erwähnt. Allenfalls wird der Begriff des Holocaust zweckentfremdet, wie die Etablierung des Begriffs „Bombenholocaust“ in der Diskussion um die Bombardierung deutscher Städte zeigt. Damit wird die millionenfache industrielle Massenvernichtung der Juden, Sinti und Roma auf ungeheuerliche Weise relativiert. Es wird natürlich auch kein Wort über Guernica, Coventry, Wielun und Warschau verloren, die jetzt nur stellvertretend für alle von deutschen Bomberstaffeln zerstörten Städte genannt werden. Ebenso wenig gibt es Gedenkveranstaltungen für die 17.000 zerstörten sowjetischen Städte und Dörfer, und die Massenerschießungen und Vertreibungen der Zivilbevölkerung in allen von Deutschen besetzten Gebieten. Anstatt endlich die eigenen Verbrechen aufzuarbeiten, treibt im Vorlauf der sechzigsten Jahrestage der Befreiung Auschwitz und der Kapitulation Nazideutschlands auch der geschichtsrevisionistische Diskurs in der deutschen Gesellschaft neuen Höhen entgegen.

Geschichtsrevisionismus – Normalität in Deutschland

Wie ein geschichtsrevisionistischer Rundumschlag ausgeführt wird, lässt sich bei dem deutschen Bestsellerautor Jörg Friedrich in seinem Werk „Der Brand“ beobachten, darin werden aus deutschen Luftschutzkellern „Gaskammern und Krematorien“, aus den vermeintlichen deutschen Bombenopfern „Ausgerottete“, die alliierten Befreier der Royal Air Force werden zur „Einsatztruppe“ und Winston Churchill zu einem „Schlachter“ der einen „Vernichtungskrieg“ gegen die Deutschen führte. Begriffe und Schlagworte, welche ursprünglich auf die Verbrechen der deutschen TäterInnen gegen andere Nationen und vor allem gegen die europäischen JüdInnen hinweisen werden in diesem Zusammenhang bewusst und zielgerichtet entkontextualisiert.
Skandalös, gefährlich und verachtenswert möchte man meinen sollten solche Thesen aufgefasst werden, im Gegenteil sind nur ein Teil eines geschichtsumschreibenden Diskurses welcher zur Zeit in „dem anderen und besseren Deutschland“ stattfindet. Was einige Jahre vorher nur in bekennenden revisionistischen Gruppen vorherrschte wird nun zum Umgangston in der Politik aber auch in der intellektuellen Öffentlichkeit. Deutsche, also die tatsächlichen TäterInnen des Zweiten Weltkriegs und der Shoa werden in der öffentlichen Debatte um „Vertreibung“, Krieg und Nationalsozialismus mit den wirklichen Opfern, also JüdInnen, Sinti und Roma, körperlich und geistig Eingeschränkten und Soldaten anderer Nationen, auf eine Stufe gestellt. Über diesen inszenierten Viktimierungsprozess wird die singuläre deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg und am Holocaust subsumiert und mit den angeblichen Verbrechen anderer Nationen auf eine Stufe gestellt. Aus deutschen TäterInnen sollen gleichberechtigte Opfer des Krieges werden. Auffallend ist außerdem die Tatsache, dass in diesen Debatten der historische Kontext vollkommen außer Acht gelassen wird, der deutsche Angriffskrieg und die fabrikmäßig organisierte Vernichtung der europäischen JüdInnen wird hierbei zwar nicht geleugnet, dafür allerdings komplett verschwiegen. In Deutschland ist es also en vogue lieber die „eigenen Opfer“ des Krieges zu beweinen und zu betrauern. Beispiele für diesen alltäglichen Vorgang lassen sich zahllose finden, angefangen bei oben erwähnten Jörg Friedrich hinüber zu weinenden Umgesiedelten in Guido Knopps Fernsehberichten über die „Vertreibung“, weiterführend zu einem „von der gefühlvollen Seite Hitlers“ berichtenden Film „Der Untergang“ von Bernd Eichinger, über eine relativierende Gedenkstättenpolitik welche die Opfer der Nazis mit denen des „Stalinismus“ auf eine Stufe stellt, und gipfelnd bei einem deutschen Außenminister, der Auschwitz auf der ganzen Welt oder zumindest auf dem Balkan zu finden glaubt. Auch das geforderte „sorry“ von der englischen Queen für die Opfer des, zur Demoralisierung der Zivilbevölkerung dienenden und damit notwendigen, Bombenkriegs gegen deutsche Städte lässt sich in die Aufzählung einreihen.
Die Folgen eines solchen geschichtsrevisionistischen Diskurses liegen auf der Hand – durch die Suche nach den vermeintlichen eigenen Opfern der Nazizeit und des Zweiten Weltkriegs kommt es zu einem gewollten Verschwinden der deutschen TäterInnen und Taten. Wenn demnach Deutschland nicht mehr das Täterland und die Deutschen nicht mehr die TäterInnen sind, ist es wieder in der Lage gegenüber anderen Ländern und neuen (außen-)politischen Aufgaben mit altbekannten Selbstbewusstsein und bekannter deutscher Arroganz aufzutreten.

Opfertaumel in Dresden

Der bundesdeutsche geschichtsrevisionistische Diskurs bedarf um zu funktionieren und zu mobilisieren eindeutiger Symbole an denen die „Volksseele“ trauern kann – so zum Beispiel und eine gewisse Vorreiterrolle einnehmend Dresden. Hartnäckig und konsequent wurde seit Anfang der 1980er Jahren an der besonderen Rolle Dresdens gefeilt und ein ritualisierter Trauer- und Opferkult entwickelt. Die Bombardierung der Stadt Dresden am 13. Februar 1945 durch die britische Royal Air Force wird in diesen Zusammenhang historisch vollkommen entkontextualisiert und übertrieben – diese Tatsachenverdrehung findet ihren Ausgangspunkt in zu hohen Opferzahlen und stilisiert Dresden als reine Kultur- und Kunstmetropole, welche nichts zu den Taten des Nationalsozialismus beigetragen hat. Dass Dresden nebenbei auch die höchste pro Kopf Dichte an NSDAP-Mitgliedern hatte, DresdnerInnen an der Deportation von JüdInnen in „pervers-erfolgreicher“ Art und Weise beteiligt waren und sich bei Dresden bis 1943 ein Arbeitslager befand, wird in der öffentlichen Debatte verschwiegen und ignoriert. Besonders absurd wird es dann, wenn sich Menschen der dritten Generation als Opfer empfinden von Bombenangriffen, die sie nie erlebt haben, von Hunger, den sie nie erlitten haben und um Großeltern, die sie nie kennen gelernt haben trauern. Diese Konstruktion funktioniert über ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit ihren Vorfahren zur deutschen Nation, über das sie sich die Legitimation als Opfer beschaffen. Gerade das peinlich genaue Beweinen der Dresdner Opfer und das einhergehende Verschweigen der Opfer durch DresdnerInnen wird zum Beweis für das immanente geschichtsrevisionistische Potential welches sich hinter dem Trauerveranstaltungen in Dresden verbirgt. Bei dieser Art der Trauer geht es nicht um Versöhnung, sondern darum dass Deutschland von der Welt und vor allem England als Opfer anerkannt werden will, um sich vom Stigma der Geschichte endlich zu befreien.

Der seit Jahren ebenfalls stattfindende bundesweit-mobilisierte Neonazi-Aufmarsch der sich in der Intention, allenfalls in Nuancen der Offenheit und der Aggressivität, nicht von dem der Bürger unterscheidet, kann demnach nur als Draufgabe und negative Avantgarde begriffen und bekämpft werden. Da sich 2005 die Bombardierung Dresdens zum 60. Mal jährt kann allerdings angenommen werden, dass es dieses Jahr zu einem Neonazi-Großaufmarsch kommen wird, der betreffend der Teilnehmerzahlen die Vorjahre übersteigen wird.
Unser Protest und unsere Mobilisierung richtet sich exakt gegen oben beschriebenen Opfertaumel und Geschichtsrevisionismus der BürgerInnen und der Neonazis. Beide Veranstaltungen haben mit unseren entschiedenen Widerstand zu rechnen.
Deutsche TäterInnen waren, sind und werden nie Opfer sein.

Da war doch noch was ... ach ja ,die Nazis.

Wenn „das Volk“, wie in Dresden, auf die Straße geht, um die deutschen Opfer des zweiten Weltkrieges zu betrauern, sind die Nazis meistens auch nicht weit. Das sind die Gelegenheiten, bei denen sie so nah wie sonst nie mit ihrer Ideologie in tagesaktuelle Diskurse eindringen. Dass sie diese immer häufigeren Anknüpfungspunkte einer rot-grünen Regierung zu verdanken haben, schert sie dabei recht wenig. Warum auch? Ihnen kann es egal sein, wer da am Grab seines Wehrmachsvaters heult oder welcher Historiker über den „Bombenterror“ über deutschen Großstädten schreibt. Hauptsache der deutsche Nationalismus wird Schritt für Schritt von lästigen Altlasten befreit und die Verbrechen des Nationalsozialismus werden relativiert.

Berlins Nazis

Berliner Nazis schauen voller Neid nach Sachsen, wo die NPD bei der Landtagswahl im Herbst 2004 mit 9% in den sächsischen Landtag einzog. Dort sind Nazikader in der Gesellschaft integriert, verfügen über gute finanzielle Infrastruktur und dominieren teilweise die Diskurse. Hier in Berlin ist das nicht so. Die Neonazisszene macht hier allerhöchstens Negativschlagzeilen. Wenn sie hier versucht, Dominanzräume aufzubauen, sind diese meist nur begrenzter zeitlicher Natur. Die Berliner Naziszene, dominiert von militanten Kameradschaften, reibt sich seit Jahren mit Propagandaaktionen und mit wirkungslosen Anti-Antifaaktionen auf. Die NPD kann nur dort Erfolge verbuchen, wo sie es schafft, Anschluss an die Kameradschaften zu finden. Da ist der hoffnungsvolle Blick nach Sachsen zu verstehen.
Genau diese Strukturen sind Ziel unserer Demonstration. Wir demonstrieren durch einen Kiez, in dem verstärkt Nazikader von Kameradschaftszusammenhängen wohnen, die in den letzten Jahren versucht haben, an diesen Geschichtsverdrängungskurs anzuknüpfen. Nicht aus Zufall hatten Aktivisten der Kameradschaft Tor voriges Jahr in Dresden ein Transparent mit der Aufschrift „Wir gedenken den Opfern des alliierten Holocaust“ getragen. Das unterscheidet sich nur graduell von der Wortwahl, wie sie von PolitikerInnen und HistorikerInnen in Bezug auf die Bombardierung Dresdens benutzt wird. Aus diesem Grund ist es den BürgerInnen Dresdens auch nicht möglich inhaltlich gegen den, einen Tag nach dem Bürgergedenken stattfindendenden Naziaufmarsch zu argumentieren. Zu ähnlich sich sie sich in Inhalt und Ziel ihres Gedenkens.
Eine Antwort auf den Naziaufmarsch UND auf die Bürgerproteste kann folgerichtig nur eine linksradikale, antifaschistische sein.
Wir werden niemals müde, den Deutschen, die sich zu gerne lieber als Opfer fühlen würden, zu sagen, warum Bomben auf Dresden und andere deutsche Großstädte fallen mussten und warum Zehntausende Deutsche von Stalingrad bis Halbe sterben mussten.

13. Februar – Nazidemo verhindern

Auch wenn unser Fokus klar auf der Kritik am geschichtsrevisionistischen Bürgerprotest liegt, rufen wir dazu auf, auch den Naziaufmarsch am 13. Februar zu verhindern. Dieses Datum hat aus bereits erwähnten Gründen in den letzten Jahren einen ähnlichen Stellenwert erlangt, wie Nazigroßaufmärsche in Wunsiedel oder am ersten Mai. Dieses Jahr ist damit zu rechnen, dass die Teilnehmerzahl vom letzten Jahr noch übertroffen wird. Es handelt sich um den 60. Jahrestag der Bombardierung.
Diese NS-verherrlichende Manifestation gilt es in diesem Jahr zu verhindern.

Wir demonstrieren am 30. Januar, am Tag der Machtergreifung, zum „Haus der Kapitulation“, um zu illustrieren wie das nationalsozialistische Deutschland besiegt werden konnte. Dazu waren neben dem nicht-staatlichen Widerstand von kommunistischen, jüdischen, christlichen, intellektuellen und unanhängigen WiderstandskämpferInnen die Armeen der Alliierten, die Schlacht um Stalingrad, die Landung in Omaha Beach und nicht zuletzt die Bombardierung der deutschen Großstädte nötig.

Wir danken den Alliierten für die Zerschlagung Nazideutschlands, und gedenken der Opfern der nationalsozialistischen Massenmörder.

 

 

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