Reform der BundesWehrmacht: Stand Ende 2000

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Einige Ergänzungen zu den Auslassungen von Kriegsminister Scharping
im Reichstag am 7. Juni und 12. Oktober 2000:

Scharping hat viel geredet in letzter Zeit zur Reform der Bundeswehr, aber was hat er eigentlich gesagt? (Scharping im Text kursiv, Reden vom 7.6. und 12.10 2000.)

„Die Streitkräfte werden wie die Wehrverwaltung von Grund auf erneuert. Sie werden personell, strukturell und materiell auf die Aufgaben der nächsten 10 bis 15 Jahre ausgerichtet. Das liegt im Interesse der Bundesrepublik Deutschland.“ (12.10.) Zur Erinnerung, welche Interessen dabei gemeint sind, und spätestens seit der Annexion der DDR auch vor einem breiten Publikum wieder offen ausgesprochen werden:

„Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen. Es kann sich künftig offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und soll diese ausweiten.“ (Aus der Regierungserklärung Kohls im Januar 1991)

„Die Abhängigkeit vom Import von Rohstoffen und Energie und der Anteil der Exportwirtschaft an der jeweiligen Volkswirtschaft erfordern sicherheitspolitische Vorkehrungen; national oder besser in Bündnissen mit anderen Staaten“ (Admiral a.D. Wellershof)

„Die Bundeswehr muss zum Alleingang bereit sein, wenn die NATO noch nicht handeln kann oder will“ (Naumann, Spiegel 6.4.92)


Diese Reform ist deswegen ein so bedeutsamer Schritt, „weil es nicht alleine um Kooperation, Outsourcing, Insourcing, Privatisierung und ähnliches geht (...). Kooperation mit der Wirtschaft ist der Bruch mit dem Autarkiegedanken und die Konzentration der Streitkräfte auf ihre militärischen Kernfähigkeiten. (...) Das bekommt den Streitkräften gut und wird sicher auch der Bundesrepublik Deutschland gut tun.“ ( 7.6.)


Die Konzentration auf die Kernfähigkeit. Die Konzentration auf das Töten.


Dabei war der „Staatsbürger in Uniform (...) in Jahrzehnten einzigartiger Garant für die gesellschaftliche Verankerung der Bundeswehr und es ist auch am Beginn des 21. Jahrhunderts das Leitbild, das überzeugend Halt, Orientierung und Wertefestigkeit bieten kann. Das braucht man gerade dann, wenn man in Konfliktverhütung und Konfliktbewältigung engagiert ist.“ (7. 6.)

Schließlich braucht es eine 'hohe Moral´, um beim Überfall, der Besetzung und dem Morden in anderen Ländern sauber zu bleiben. Das schafft nicht jeder.

„Die Zahl der Einsatzkräfte wird auf 150 000 Soldaten erhöht und damit im Vergleich zu heute fast verdreifacht. Mindestens jeder zweite – nicht wie bisher nur etwa jeder sechste – Soldat wird also für die Einsatzaufgaben unmittelbar zur Verfügung stehen. Im Rahmen dieser Struktur wird die Bundeswehr künftig 200 000 Berufs- und Zeitsoldaten haben, also 12 000 mehr als zur Zeit. Durch diese neue Zielgröße werden wir einen kontinuierlichen Aufwuchs erreichen und im übrigen 80 000 Dienstposten für Grundwehrdienstleistende hinzufügen, was im Ergebnis jährlich zu mehr als 100 000 Einberufungen führen wird. Damit beträgt der Friedenspersonalumfang der Bundeswehr 360 000 Menschen. Einschließlich der in der neuen Struktur für notwendig gehaltenen 80 000 bis 90 000 Dienstposten – das Wort 'Dienstposten' verwende ich ausdrücklich – für zivile Mitarbeiter.“ (12.10.)

Eine Verdreifachung der Angriffskapazitäten also bereits zu Friedenszeiten. Und der kontinuierliche Aufwuchs für größere Kriege ist mitberücksichtigt.


Genauso wie „eine enge Zusammenarbeit schon zu Friedenszeiten“ im Mustervertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Krankenhausgesellschaft zur Regelung der Zusammenarbeit von Reservelazarettgruppen der Bundeswehr mit öffentlichen Krankenhäusern vereinbart ist. Dieser Mustervertrag findet sich derzeit unter http://sanitaetsdienst. bundeswehr.de/aufbau/mustervertrag.html.

Jedoch nicht vollständig:

„Dieser Vertrag tritt mit dem Datum der Unterzeichnung in Kraft. Die Regelungen des 3. Abschnitts über die Landes- und Bündnisverteidigung werden mit Beginn der Mob“ - und da hört es auf. Mobilmachung, Mobilisierung? Eine Anfrage an den webmaster bezüglich des vollständigen Vertrags ergibt, dass dieser im Netz gar nicht stehen dürfe. Einen Monat danach steht es immer noch drin – Aber vielleicht soll's ja nur eine nette kleine Drohung sein...

„Die Reform der Bundeswehr muss bei den Menschen ansetzen. Sie stellen das größte Kapital der Streitkräfte dar.“ (12.10.) Im Herbst 1998 wurde für den Haushalt 1999 im Einzelplan 14 (Verteidigungshaushalt) ein neuer Posten mit 2,5 Mio. DM zur „Überführung und Bestattung verstorbener Soldaten“ eingerichtet. Rechtzeitig zum Angriff auf Jugoslawien. In Anspruch genommen wurde dieser Posten nun schon des öfteren.

Auch wenn der entsprechende Held einfach nur nicht richtig Panzerfahren konnte.


Solange er noch lebte, wurde sein Einsatz in Jugoslawien übrigens nicht aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt:

„Ich halte es für einen großen Fortschritt, dass die Kosten für solche Einsätze in den Haushaltsansätzen 1999 und 2000 gesondert veranschlagt worden sind und dass dadurch der laufende Betrieb der Bundeswehr nicht belastet wurde.“ (12.10.). Hier ist Scharping im Gegensatz zu seinem Vorgänger nur konsequent: Schließlich sind der Angriff und die Besetzung eines Landes keine Verteidigung, also auch nicht aus dem Verteidigungshaushalt zu zahlen.

Dies schafft eine Entlastung des Verteidigungshaushaltes. Zusätzlich senkt man noch die Betriebskosten:

So sind „im Bereich der Bekleidungswirtschaft der Bundeswehr (...) für die nächsten 10 Jahre Ausgaben von 5 bis 6 Milliarden DM geplant. Jeder (...) sagt Ihnen, dass Einsparungen von mindestens 10, vermutlich sogar 20 Prozent erzielbar sind.“ (12.10.) Jeder ist dabei z.b. die Post, welche auch noch über ein europaweites Transport- und Logistiknetz verfügt.


Des weiteren wird aufgeräumt: „Welchen Unsinn sie (die Kohlregierung, Anm. d. Autor) betrieben haben, will ich Ihnen an einem viertem Beispiel verdeutlichen. Sie hatten geplant, für die Bundeswehr Bürstenwaschanlagen zu bauen. (..) Das Dumme ist: Sie haben übersehen, dass die Fahrzeuge der Bundeswehr in der Regel Aufbauten und anderes haben, so dass sie durch eine normale Bürstenwaschanlage nicht durchgefahren werden können. (...) Sie haben damit Investitionen in fast dreistelliger Millionenhöhe sinnlos in den Sand gesetzt.“ (12. 10.) Es finden sich also an allen Ecken und Enden Sparmöglichkeiten im Einzelplan 14.

Für eine Kooperation gewonnen wurden dabei „mittlerweile fast alle Industrie- und Handelskammern und fast alle Handwerkskammern ebenso wie über 300 Unternehmen“. (12.10.) Doch pünktlich zum ersten Jahrestag erklärte der Bundesverband der Deutschen Industrie, „die Anschubfinanzierung für die Aktion von Verteidigungsminister Scharping zur kostengünstigeren Führung des Bundeswehrbetriebes sei aus dem 'ohnehin zu geringen Verteidigungshaushalt 2001' nicht zu leisten. So könne 'das Interesse der Unternehmen, sich beim Outsourcing einzubringen, schnell zum Erliegen kommen'.“ (Berliner Zeitung, 11.12.00)

Ein neuer Posten also, der nicht aus dem Einzelplan 14 zu zahlen ist, wird wohl nötig. Doch alle Diskussionen darüber, ob Scharpings Sparpläne innerhalb des Verteidigungshaushaltes richtig bzw. realistisch sind oder nicht, vernebeln nicht nur konservativen Kritikern den Blick auf die parallel zur „Reformdiskussion“ laufende Aufrüstung der Bundeswehr: So kommt der Beitrag „Verteidigungshaushalt 2001 – Etikettenschwindel BW Reform“ im Heft 11 der antimilitarismus information (November 2000) zu dem Schluss: „Statt der in Scharpings Reformkonzept geplanten Verdreifachung der auslandstauglichen Krisenreaktionskräfte/ KRK auf 150000 Einsatzkräfte zu erreichen sinkt die Einsatzfähigkeit der vorhandenen 63 000 KRK um 5-15%.“

Der Beitrag geht dabei davon aus, dass die bereits laufenden und zukünftigen Rüstungsvorhaben innerhalb des Einzelplans 14 getätigt werden und ein Hauptzweck dieser Reform gerade darin besteht, die dafür notwendigen Gelder durch Einsparungen zu erwirtschaften. Das ist falsch. So antwortet Generalinspekteur Kujat auf die Frage des Spiegels, woher die Milliarden für neue Transportflugzeuge kommen sollen: „Es wäre naiv anzunehmen, wir könnten durch Rationalisieren all unsere Beschaffungspläne decken. Ich vertraue darauf, dass das Flugzeug außerhalb des Einzelplans 14, also des Etats der Bundeswehr finanziert wird.“

Auf die Nachfrage vom Spiegel, ob Scharping sich dann das Geld bei anderen Ministern zusammenbetteln müsste, antwortet er: „Das wird er nicht, muß er auch nicht. Der Minister hat bemerkenswerte Absprachen getroffen, die uns eine solide Planungsgrundlage für die nächsten Jahre geben.“ (Spiegel, 17.7.2000)

So wie über Jahre hinweg Teile der Entwicklungskosten für den Eurofighter nicht im Einzelplan 14, sondern im Haushalt des Bundeskanzleramtes berücksichtigt waren. Neben der Gewöhnung der Menschen an die alltägliche Anwesenheit des Militärs in den Betrieben, Krankenhäusern und Schulen (siehe dazu Fanfare Nr. 26: Jeder Betrieb eine Bundeswehrkaserne, jeder Werktätige ein Soldat – jedes Krankenhaus ein Lazarett) erfüllt die Diskussion um die Reform nun auch den von Scharping am Ende seiner Regierungserklärung vom 12. Oktober geäußerten Wunsch:

„Ich hoffe sehr, dass bei allen legitimen und notwendigen Debatten der parteiübergreifende Konsens hinsichtlich der historischen Reform der Bundeswehr im Vordergrund steht.“


Nicht immer, aber immer öfter kennt man keine Parteien mehr – sondern nur noch Deutsche.


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